Feiertage rücken näher, Geburtstage stehen an, das nächste Familientreffen kommt bestimmt und damit stellen sich viele Fragen. Als ob Geschenk-, Kleider- oder Essensfragen nicht anstrengend genug wären, kommt für viele noch dazu: Wie navigiere ich erfolgreich durch politische Diskussionen und überstehe den Verwandtschaftsbesuch, ohne dass das Gesprächsklima frostig wird und der Streit eskaliert?
Wenn Menschen aufeinandertreffen, die nicht aufgrund ihrer Einstellungen oder ähnlicher Lebenswelten zueinander gefunden haben, kann eine politische Diskussion schnell mal eskalieren – gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung. Vor diskriminierenden oder ausgrenzenden Bemerkungen ist auch in der Familie niemand sicher.
Wir haben 9 Tipps für dich zusammengestellt, wie du in solchen Situationen reagieren kannst, wenn faktisches Argumentieren nicht mehr zündet – sei es, weil das Gegenüber für Fakten nicht mehr empfänglich ist, oder du nicht für jeden Bereich Expert*in sein kannst und den Abend nicht mit der Recherche am Handy verbringen willst.
Bei dir bleiben
Nimm dir Zeit und überlege in Ruhe: Was will ich erreichen? Will ich Nerven sparen und eine schöne Feier ohne größere Konflikte haben? Will ich Familienmitglieder überzeugen, bei denen mir das noch möglich scheint? Will ich Verbündete im Kreis der Familie finden oder z.B. Jüngere in ihrer kritischen Haltung bestärken? Nicht jeder unserer Tipps passt für jede Person und jede Situation. Überlege dir, wie du dich in anderen Konflikten verhältst und welche Strategien zu dir passen könnten. Oder probier mal was aus, was du noch nie gemacht hast. Was fühlt sich für dich wann und wo passend an? Bleib insgesamt bei dir und deinen Bedürfnissen. Viele Strategien funktionieren besser, wenn du von dir sprichst: Was hat deine Position geprägt, wo hattest du vielleicht auch Widerstände und was waren Aha-Momente für dich?
Vorab Grenzen klären
Absehbare Konflikte kannst du bereits im Vorfeld ansprechen. Gerade Familienfeiern sind oft mit Erwartungshaltungen von allen Seiten verbunden. Die einen freuen sich auf eine schöne Zeit im Kreis ihrer Lieben, andere fürchten schon vorher queerfeindliche, rassistische, antisemitische oder andere diskriminierende Sprüche. Wenn deiner Familie wirklich wichtig ist, dass alle zusammen kommen, kannst du für manche Themen im Vorfeld eine Art „Waffenstillstand“ verhandeln. „Oma, ich komme gerne zu deinem Fest. Damit das nicht wieder im Streit endet, lass uns vereinbaren, dass wir nicht wieder übers Gendern sprechen.“ Damit kommst du nicht bei der Feier in die Rolle des*der Spaßverderber*in, machst aber gleichzeitig deine Grenzen klar.
Versteckte Botschaften wahrnehmen
Sorgen um die Zukunft sind keine Entschuldigung für abwertende Sprüche gegenüber anderen. Aber möglicherweise stecken hinter den Sprüchen nachvollziehbare Ängste oder Unsicherheiten. Frag doch mal konkret nach: „Was stört dich denn an…?“ Wenn du Fragen stellst, kannst du dein Gegenüber vielleicht ins Nachdenken bringen. Vor allem aber hast du das Gespräch selbst in der Hand und reagierst nicht nur defensiv. Gerade in einer vertrauten Runde kann so manchmal über Fragen gesprochen werden, die in anderen Kontexten schwerer anzusprechen sind.
Mit Emotionen reagieren
Politisch liegen beispielsweise deine Eltern und du vielleicht meilenweit auseinander – aber gerade bei nahestehenden Personen können Gefühle deutlich machen, wie ernst dir das Thema ist und wie wichtig dein*e Gesprächspartner*in: „Dass du so etwas sagst, macht mich traurig/wütend.“ Die Anerkennung deiner Betroffenheit kann für das Gegenüber ein erster Schritt sein, seine*ihre Aussagen zu überdenken. Starke Beziehungen halten klaren Widerspruch in der Sache aus. Verbundenheit und Zugehörigkeitsgefühl können helfen, eigene Ansichten zu überdenken. Je mehr du auf die Beziehungsebene gehst (z.B. über gemeinsame Interessen oder Erinnerungen), desto besser die Chance, dass dein inhaltlicher Widerspruch Gehör findet.
Schlechte Erfahrungen ernst nehmen
Wer etwas Mieses erlebt hat, will in der Regel keine Gründe hören, warum das passiert sein könnte. Auch Relativierungen oder Einordnungen sind dann nicht gefragt. Du kannst deinem Gegenüber Glauben schenken – und gleichzeitig deutlich machen, dass eine Verallgemeinerung des Einzelbeispiels nicht angebracht ist. Es kommt schließlich auch niemand auf die Idee, nie wieder neben deutschen Nachbar*innen wohnen zu wollen, weil das Treppenhaus einmal nach Kohl gerochen hat. Oft werden jedoch auch Erfahrungen aus dritter oder vierter Hand berichtet ohne persönliche Betroffenheit. „Die Schwägerin eines Kollegen meiner ältesten Freundin hat gehört…“ Solche Berichte kannst du anzweifeln und hinterfragen, z.B. indem du das Spiel „Stille Post“ in Erinnerung rufst.
Perspektive wechseln
Ist die Diskussion erst einmal so richtig festgefahren, will niemand den eigenen Standpunkt verlassen. Während du dir Gedanken machst, warum Onkel oder Cousine das Thema so wütend macht (siehe → Versteckte Botschaften wahrnehmen), kannst du sie ja mal fragen, ob sie sich in die andere Position hineinversetzen können: „Würdest du nicht vielleicht auch dein Land verlassen, wenn sich dort keine Perspektive für dich und deine Kinder bietet?“ Der andere Blickwinkel kann für mehr Verständnis sorgen oder nicht geahnte Gemeinsamkeiten zu Tage bringen.
Apropos festgefahren: Es ist okay, sich darauf zu einigen, dass man sich gerade nicht einigen kann – und das Gespräch eventuell in einer ruhigeren Minute fortzusetzen, nachdem man über die jeweiligen Argumente nachgedacht und ein paar Plätzchen gefuttert hat. Vielleicht kannst du auch die Festtagsstimmung, von der immer alle reden, für deine Sache nutzen: „Lass uns erst mal die schöne Feier genießen. Für eine sachliche Diskussion finden wir später noch Zeit.“ Du kannst außerdem versuchen, in der Runde Verbündete zu finden, die ebenfalls keine Lust auf die Eskalation haben. Sprich gerade auch ruhigere Familienmitglieder gezielt an.
Rückwärtsgang zulassen
Meist können wir bei uns bekannten Personen einordnen, ob etwas aus Überzeugung gesagt wurde oder in der Hitze der Debatte „rausgerutscht“ ist. Manchmal werden vielleicht auch Äußerungen oder Begriffe nachgeplappert, die die Person selbst noch gar nicht weiter durchdacht hat. Gib deinem Gegenüber die Möglichkeit, die Aussage zurück zu nehmen: „Meinst du das wirklich so?“ Oder beispielsweise auch: „Ich benutze das N-Wort aus folgenden Gründen nicht…“
Stoppzeichen setzen
„Wir müssen das jetzt nicht ausdiskutieren, aber deine Aussage war nicht okay und ich will das hier nicht hören.“ Auch wenn dir die Kraft fehlt oder Harmonie gefordert wird – schon eine kurze Reaktion stellt der weiteren Normalisierung diskriminierender Diskurse etwas entgegen. Versuch dabei, die Position deines Gegenübers zu kritisieren und nicht die Person. Und denk daran: Nicht du bist der*die Ruhestörer*in, der*die die Stimmung versaut. Das ist schon durch die abwertenden Äußerungen passiert, nicht erst durch deine Intervention.
Und wenn all das nichts hilft? Wenn der Versuch, vorab Grenzen zu vereinbaren, scheitert und die beschriebenen Reaktionsmöglichkeiten ins Leere laufen? Dann ist es auch O.K., nicht dabei zu sein. Die geliebte Oma hat bestimmt Verständnis, wenn du sie an einem anderen Tag besuchst statt zum großen Familiengeburtstag, und statt sich am 1. Weihnachtsfeiertag mit dem Onkel zu streiten, kannst Du auch am zwei Weihnachtstag vorbeikommen, wenn er wieder weg ist.
Du möchtest Dich intensiver mit dem Thema „Argumentieren gegen diskriminierende Äußerungen“ beschäftigen? Wir haben das Memospiel „Parolenknacker“ für einen spielerischen Umgang mit Reaktionsmöglichkeiten im Gespräch entwickelt. Hier kannst du es online spielen.
Außerdem bietet das DGB-Bildungswerk Thüringen für interessierte Gruppen spezielle Argumentationstrainings an. Interesse? Dann nimm Kontakt mit uns auf.
Eine Veröffentlichung im Rahmen des Projekts „Du und Ich statt Die und Wir! 5.0“. Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Herausgeber die Verantwortung.